Bei aller Unterschiedlichkeit individueller Erfahrung tauchten manche Themen in unseren Recherchen immer wieder auf. Sie verweisen auf typische Ansatzpunkte zur Entfaltung unseres Liebeslebens. Wir haben aus den intimen Gesprächen und eigenen Erfahrungen zehn Thesen abgeleitet, die wir zur Diskussion stellen.
1. Je mehr Neugier wir Männer uns zugestehen, desto weniger Krisen sind nötig, um uns für neue Horizonte zu öffnen. Für viele Männer ist eine Krise der Ausgangspunkt ihrer Entdeckungsreise, sei es Trennung, Krankheit, schmerzlicher Verlust oder schleichende Unzufriedenheit. Neugier und Entdeckungsfreude können Krisen entbehrlich machen, sie lassen uns Risiken eingehen, so wie jedes Kind ständig Neues riskiert.
2. Liebe und Beziehung sind Männern genauso wichtig wie das unmittelbare sexuelle Erleben. Dass Männer Sex über Liebe stellen, ist ein Mythos. Männer favorisieren jedoch unterschiedliche Beziehungsformen – von lebenslanger Treue bis zu spontanen Begegnungen gibt es ein weites Spektrum möglicher Vorlieben. Wenn Männer darauf hoffen oder gar erlebt haben, dass es sich lohnt, sind sie auch zu herausfordernder Beziehungsarbeit auf Augenhöhe bereit.
3. Auch Männer sind fähig, vielfältige Formen von Lust und Orgasmus zu erleben. Die Ejakulation als Schlussakkord jeder sexuellen Begegnung ist nicht mehr selbstverständlich und auch nicht von allen Männer erwünscht. Es ist allerdings nicht einfach, unterschiedliche Qualitäten von Lust und Befriedigung zu beschreiben. Wir brauchen dafür noch eine angemessene Sprache.
4. Männer haben vielschichtige Gefühle und sind zu tiefem emotionalem Erleben fähig. Allerdings wurde vielen Männern schon in der Kindheit das Fühlen abtrainiert. Die Wiederentdeckung der Innenwelt kann ein langwieriger und zuweilen schmerzhafter Prozess sein. Sexuelle Erfüllung und das bewusste Spüren der eigenen Gefühle liegen nahe beieinander. Die Aussicht auf tiefer erfüllenden Sex kann Männer zum Risiko größerer emotionaler Öffnung motivieren.
5. Männer sind es kaum gewohnt, sich selbst zu lieben. An die Stelle von Selbstliebe treten Selbstsucht, Sexsucht oder die Abwertung anderer. Sich mit innerer und äußerer Abwertung auseinanderzusetzen, mit der Geringschätzung eigener Körperlichkeit, mit der Unterdrückung der eigenen Gefühle, mit der vielfältigen Abwertung von Mannsein, all das kann helfen, Selbstliebe zu entwickeln und unabhängiger von Anpassung zu werden. Selbstbefriedigung kann zum Ausdruck wirklicher Selbstliebe werden.
6. Homophobie – die verdeckte Angst vor dem Schwulsein – beißt sich mit einem entspannten Verhältnis zur eigenen Sexualität. Auch Männer, die Frauen begehren, können erotischen Erfahrungen mit anderen Männern etwas abgewinnen, wenn sie bereit sind, sich ihrer Angst zu stellen. Die Kategorien hetero-, homo- oder bisexuell werden der inneren Vielfalt an Erlebnismöglichkeiten nicht gerecht.
7. Männer tragen männliche wie auch weibliche Seiten in sich. Sexuelle Befriedigung hängt eng mit einer gelungenen Gestaltung der inneren männlich-weiblichen Polarität zusammen. Diese Polarität wird von Männern unterschiedlich erlebt, das Spektrum an Vorlieben reicht von aggressivem Sex über die Lust an der Initiative bis zum empfänglichen, stillen Verweilen ineinander oder gar zum Wunsch, selbst penetriert zu werden.
8. Männer sind bereit, sich sexuell fortzubilden, wenn sie sich etwas davon versprechen. Viele haben kaum Ahnung, welche Möglichkeiten der Weiterbildung es überhaupt gibt. Liebesschulen finden sich eher in gesellschaftlichen Nischen. Oft sind große Scham- und Schuldgefühle zu überwinden, bis Männer sich tatsächlich Hilfe holen oder entsprechende Seminare und Trainings besuchen.
9. Die Frage nach dem richtigen Mann verliert an Bedeutung. Je mehr Männer ihr inneres Erleben und ihre Sexualität neugierig erkunden und je mehr Akzeptanz sie sich selbst entgegenbringen, desto weniger müssen sie sich beweisen. Es braucht Mut, zum individuellen Mannsein zu stehen, besonders wenn Kollegen, Freunde oder die Partnerin etwas anderes erwarten.
10. Die erotisch-sexuellen Vorlieben von Männern sind unterschiedlich. Diese letzte These ist einerseits banal, andererseits noch nicht im kollektiven Bewusstsein verankert. Der eine liebt das unverbindliche erotische Spiel, der andere öffnet sich erst in einer verbindlichen intimen Beziehung. Mancher verbindet Sex mit Kinderwunsch, ein anderer liebt es, über Grenzen zu gehen und Tabus zu brechen, und wieder andere fühlen sich am tiefsten von der spirituellen Dimension im Sex berührt. Wir können versuchen, Erklärungen für diese Unterschiede zu finden, müssen das aber nicht. Wir können sie einfach als Ausdruck der Fülle Lebens betrachten, zu der wir Männer wesentlich beitragen.
Aus dem Buch Lustvoll Mannsein von Saleem Matthias Riek und Rainer Salm
(Kamphausen Verlag, 2015). Es ist überall im Buchhandel erhältlich oder bestellbar.
18,95 € (Broschur) * 14,90 € (E-Book) * ISBN 978-3-89901-920-9