Die Schule des Seins schafft ein Umfeld, das vielfältiges Lernen, Prozesse der Heilung und die Erweiterung des Bewusstseins auf vielfältige Weise unterstützt. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung dafür, dass wir in einem Lernumfeld unser volles Potenzial entfalten können, ist Freiwilligkeit. Was wir unter Druck, Zwang oder in einem System von Belohnung und Bestrafung lernen, fördert uns nicht, sondern schadet. Selbst wenn wir auf diese Weise etwas – bezogen auf ein bestimmtes Ziel – erfolgreich lernen, untergräbt es doch unser Vertrauen in unsere eigene Motivation als Kraftquelle für unsere Entwicklung. In einer wissenschaftlichen Studie wurde beispielsweise nachgewiesen, dass die exakt gleiche Anwendung – eine Fastenkur – eine genau entgegen gesetzte Wirkung entfaltete, je nachdem, ob die Probanden freiwillig oder unfreiwillig gefastet hatten. Was nicht heilsam ist, fördert auf Dauer auch nicht unsere Lernfähigkeit. Es macht in nachhaltiger Perspektive keinen Sinn, jemanden zum Lernen zu zwingen.
Da wir in der Schule des Seins niemals Lernprozesse erzwingen wollen, kommt es umso mehr darauf an, Motivation, Lernbereitschaft und Selbstverantwortung von Anfang an zu unterstützen. Wer in einem Lernumfeld darauf vertraut, dass er zu jeder Zeit die ihn selbst betreffenden Entscheidungen selbst fällen darf, fühlt sich dazu angeregt, auf die eigenen Wünsche zu hören, die eigenen Grenzen zu respektieren und beides auf angemessene Weise zu artikulieren. Das Navigieren zwischen den eigenen Wünschen und Grenzen ist eine fundamentale Kompetenz der Selbststeuerung. Diese beinhaltet unsere Fähigkeit, das Ausmaß unserer Herausforderungen nach Möglichkeit zu dosieren. In diesem Zusammenhang hat es sich bewährt, drei Zonen zu unterscheiden: die Komfortzone, die Risikozone und die Überforderungszone.
In der Komfortzone fühlen wir uns sicher. Wir sind vor überraschenden Herausforderungen geschützt. Wir bewegen uns auf bekanntem Territorium und die Konsequenzen unseres Verhaltens erscheinen uns überschaubar. In dieser Zone können wir uns entspannen, es uns bequem machen, und uns eventuell auch von zurückliegenden Herausforderungen und damit verbundenen Anstrengungen regenerieren. Wenn wir länger in der Komfortzone verbleiben, wird es sich wahrscheinlich früher oder später langweilig anfühlen, unsere Gefühlswelt verflacht oder fühlt sich auf unbestimmte Weise hohl an. Dies sind Signale dafür, dass wir neue Herausforderungen brauchen, um uns tiefer verbunden und lebendig zu fühlen.
In der Risikozone ahnen wir, dass Unvorhergesehenes geschehen kann. Wir entdecken Neuland, probieren neue Verhaltensweisen aus und machen uns im Kontakt mit anderen Menschen verletzlich. Wir spüren dabei Aufregung, Erregung oder neugierige Spannung. In der Risikozone fühlen wir uns dazu angeregt, im Hier und Jetzt anwesend zu sein, um auf Überraschendes spontan antworten zu können. Das Leben erscheint uns interessant, wir haben es nicht unter Kontrolle. Wir können aber Einfluss nehmen. In der Risikozone befinden wir uns im Dialog mit inneren Impulsen und Anregungen, die von außen auf uns zukommen.
In der Überforderungszone fühlen wir uns bedroht, die Situation erscheint nicht mehr handhabbar und wir schalten auf bewährten Überlebensstrategien um, oft ohne es zu bemerken. Unser Erregungspegel kann sehr hoch sein, unsere Nerven fast bis zum Zerreißen gespannt. Bei Überforderung können wir aber auch kollabieren. Dann fühlen wir uns wie in einem Schockzustand eher dumpf und taub. In der Überforderungszone greifen wir zu Strategien, von denen wir in unserer Kindheit gelernt haben, dass sie unsere Grundbedürfnisse befriedigen helfen bzw. unser Überleben sichern. Es lässt sich schwer an äußerem Verhalten festmachen, ob sich jemand in der Überforderungszone befindet oder nicht. Der eine ist dies schon beim Wandern auf einen kleinen Hügel, der andere noch nicht beim Erklimmen eines Achttausenders. Es ist rein subjektiv. Wir können lernen, es bei uns selbst festzustellen, und zwar daran, ob wir noch im Augenblick präsent sind. Weitere Anzeichen können sein, dass wir passiv auf bessere Zeiten warten oder aktionistisch alles Mögliche unternehmen, um aus einer bewusst oder unbewusst als unerträglich empfundenen Situation herauszukommen.
Alle drei Zonen haben ihren Wert und ihre Bedeutung. Die besten Voraussetzungen für fruchtbares Lernen schaffen wir jedoch, indem wir uns in die Risikozone begeben. In der Risikozone sind wir uns bewusst, dass wir Wahlmöglichkeiten haben und können deswegen leichter neue Verhaltensweisen ausprobieren, neue Erkenntnisse an uns heranlassen und damit insgesamt neue Erfahrungen machen und Wertvolles lernen.
Obwohl wir in der Komfortzone Risiken nach Möglichkeit ausweichen, kann es durchaus sein, dass wir uns dabei trotzdem nicht wirklich entspannen können, beispielsweise dann, wenn wir Entspannung selbst als ein Risiko erleben. Workoholics bewegen sich trotz chronischer Anspannung in ihrer Komfortzone, wenn sie der gewohnt stressigen Tätigkeit nachgehen. Sie würden sie in Richtung Risikozone verlassen, wenn sie innehielten und sich eine Auszeit gönnten. Andere tun in ihrer Komfortzone lieber gar nichts, um bloß keinen Fehler zu begehen. Auch ihnen wird es schwer fallen, sich wirklich zu entspannen. Schließlich könnte auch Nichtstun potenziell ein Fehler sein.
In der Überforderungszone erleben wir uns tendenziell als ohnmächtig gegenüber inneren oder äußeren Geschehnissen. Wir haben kein Vertrauen, dass wir die Situation aus eigener Kraft zum Guten wenden können, was mit großer Angst einhergehen kann. Wenn die Furcht zu groß wird, stellen sich manche innerlich tot. Unsere tiefe innere Kontraktion in der Überforderungszone kann von äußeren Verhaltensweisen überlagert sein, mit denen wir gelernt haben Angst abzuwehren oder zu überspielen. Es kann also sein, dass wir uns äußerlich vollkommen unauffällig benehmen und auch innerlich unsere starke, vielleicht sogar existenzielle Angst gar nicht wahrnehmen, und wir uns dennoch in der Überforderungszone befinden. Die Überforderungszone ist kein Ort, in dem wir uns ohne Schaden lange aufhalten können. Sie dient dazu, uns zu warnen, damit wir besser für uns sorgen.
Je mehr wir in unseren – meist unbewussten – Überlebensstrategien gefangen sind, desto mehr pendeln wir übergangslos zwischen Komfort- und Überforderungszone hin und her. Das kann so weit gehen, dass sich beide Zonen subjektiv kaum noch voneinander unterscheiden lassen. Dann erleben wir uns als ohnmächtig, obwohl oder gerade weil wir jedes Risiko meiden. Die Risikozone existiert dann nur noch als ein sehr schmaler Grat, im Extremfall ist sie ganz verschwunden. Dies ist der Fall, wenn ein Mensch so weit resigniert hat, dass es sich für ihn scheinbar nicht mehr lohnt Risiken einzugehen. Dann geht er davon aus, dass durch neue Risiken alles immer nur noch schlimmer würde. Resignation ist oft ein Symptom für tief gehende Verletzungen, die weit in unsere Kindheit zurückreichen. Viele dieser Verletzungen geschahen und geschehen noch heute innerhalb des üblichen Schulsystems. Wahrscheinlich kennen es die meisten von uns, dass wir uns zeitweise hoffnungslos oder handlungsunfähig fühlen. Es kann helfen zu realisieren, dass und wie zuvor alte Wunden oder traumatische Erfahrungen aktiviert wurden.
Heilung und Wachstum braucht unsere zunehmende Fähigkeit, selbstverantwortlich und dosiert Risiken eingehen zu können, um uns einengende Muster weiter zu entwickeln oder ganz loszulassen. Risiken unterscheiden sich von Zwang dadurch, dass sie freiwillig eingegangen werden. Die Bedeutung von Freiwilligkeit kann sowohl für unsere Heilung als auch für unsere Lernfähigkeit kaum überschätzt werden.
Sich freiwillig auf eine neue Situation einzulassen bedeutet nicht, dass wir diese selbst erschaffen müssen. Es kann auch bedeuten, sich bewusst einer Herausforderung zu stellen, deren Bedingungen wir nicht steuern können. Eine Prüfung oder ein Wettkampf sind Beispiele dafür. Derartige Herausforderungen bekommen eine ganz andere Qualität, wenn wir uns ihnen aus freien Stücken stellen und wir darüber hinaus noch die Möglichkeit haben, sie bei Überforderung vorzeitig zu beenden, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.
Die Schule des Seins gestaltet auf der Basis dieser Erkenntnisse konsequent einen Erfahrungsraum, in dem persönliche Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen ernst genommen werden. Jeder hat erklärtermaßen jederzeit die Freiheit, eine Übung oder Lernsituation auf die persönlichen Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen hin abzustimmen und – wenn das nötig werden sollte – auch zu beenden. Interessanterweise wird dies eben durch diese grundlegende Freiheit seltener erforderlich. Durch die objektiv gegebene und subjektiv empfundene Freiheit, aus einer Situation jederzeit aussteigen zu können, fällt es wesentlich leichter, sich auf herausfordernde und kraftvolle Lernprozesse einzulassen. Ohne diese Freiheit würden sie eher als Überforderung wahrgenommen. Wenn wir uns ermutigt fühlen, im Kontakt mit unseren eigenen Wünschen und Grenzen unserer eigenen Spur zu folgen, kann Vertrauen wachsen, dass es sich lohnt Risiken einzugehen, um alte Wunden zu heilen und Wegweisendes für unser Leben zu lernen. Die Zeit, die wir in der Komfort- oder Überforderungszone verbringen, wird tendenziell immer kürzer. Unsere Kapazität für die Risikozone wird umfangreicher.
Freiheit ist Fluch und Segen zugleich. Wer nicht mit sich selbst in Kontakt ist, wird mit seiner Freiheit nichts anzufangen wissen und sich nach jemandem sehnen, der ihm sagt, wo es lang geht. Unsere Freiheit ruft nach Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis. Wahrzunehmen und zu spüren, wann wir uns in welcher Zone aufhalten, ist ein wesentlicher Teil davon. Niemand kann uns dies abnehmen, insbesondere deswegen, weil es nach außen hin oft anders aussieht als es sich innerlich anfühlt. Um zwischen diesen drei Zonen bewusst hin und her zu navigieren haben wir als erstes zu lernen, sie entsprechend wahrzunehmen und zu identifizieren. In einem zweiten Schritt können wir dann herausfinden, wie wir uns von der einen in die andere Zone bewegen.
Wenn wir uns beispielsweise in der Komfortzone befinden, uns das Leben langweilt und wir glauben, das läge an den uns umgebenden Langweilern, so können wir lernen, selbstbewusst Risiken einzugehen und damit den Kontakt aufregender und interessanter gestalten. Teile einem Menschen, der dich langweilt, genau dies offen und ehrlich mit. Wenn du dabei offen und verletzlich bleibst und empfänglich für die Reaktion und Antwort deines Gegenüber, so hast du dich bereits in eine Risikozone bewegt. Du erlebst dann den Kontakt wahrscheinlich schon lebendiger und inspirierender, bevor dein Gegenüber überhaupt geantwortet hat. In dieser kleinen Anregung verbirgt sich eine Grundregel: wenn du dich langweilst, versuche es mal mit der Wahrheit. Die Voraussetzung für jede nachhaltige Veränderung ist jedoch, dass wir die Verantwortung für unser Erleben – im Beispiel für unsere Langeweile – bei uns selbst suchen und sie immer weniger anderen in die Schuhe schieben.
In der Überforderungszone ist es wesentlich herauszufinden, worin die Bedrohung für uns subjektiv besteht und wie wir diese Bedrohung reduzieren können. Der direkteste Weg besteht oft darin, uns unsere eigenen Grenzen einzugestehen und sie in einem zweiten Schritt angemessen nach außen zu kommunizieren. Die Krux ist leider, dass das Verlassen der Überforderungszone oft eine eigene Herausforderung darstellt und dadurch Angst vor noch größerem Stress auslöst. Es gilt also zu unterscheiden, welche Herausforderung unseren Stress- und Angstpegel auf Dauer reduziert, obwohl er die Angst kurzfristig sogar steigern kann. So kann es Angst machen, jemandem, der von uns etwas verlangt, wozu wir uns nicht im Stande fühlen, genau dies mitzuteilen. Oft stimuliert das zuerst noch mehr Angst und bringt erst später Erleichterung.
Es kann auch notwendig sein, zeitweilig eine bestimmte Situation zu verlassen, ohne uns vom Einverständnis anderer abhängig zu machen. Wenn wir auch dazu nicht mehr in der Lage sind, tut es gut sich daran zu erinnern: es gibt auch Unterstützung von außen, um aus der Überforderung heraus zu kommen. Auch da braucht allerdings oft unseren ersten Schritt, damit Hilfe uns überhaupt erreichen kann. Hilfe zu holen kann allerdings auch wieder eine besondere Herausforderung darstellen, die Ängste aktiviert. Auch hier tritt die erleichternde Wirkung erst mit zeitlicher Verzögerung ein. Jenseits dessen gibt es noch glückliche Fügung und ... Gnade.
Je öfter wir die Erfahrung machen, dass unserer eigenen Spur zu folgen zwar Risiken beinhaltet, die daraus resultierenden Erfahrungen jedoch unser Leben bereichern, desto mehr Raum bekommt die Risikozone in unserem Leben. Zunehmend werden wir sie auch genießen. Wesentlich ist auch der Respekt für unsere Grenzen. Im Vertrauen, dass wir auch Nein sagen können, bekommt unser Ja seine ganze Kraft und ermächtigt uns, unseren Impulsen in eigener Verantwortung nachzugehen. Aus den drei Zonen wird zunehmend ein Kontinuum, innerhalb dessen wir zwischen Entspannung und Herausforderung je nach unseren Bedürfnissen, Wünschen und Anliegen navigieren können. Wir lernen unseren Lernprozess entsprechend unserer Lernkapazität erfolgreich und befriedigend zu steuern.
Mehr und mehr entspannen wir in die Tatsache hinein, dass das Leben niemals vollständig sicher ist, und dass auch unsere vermeintlich sicheren, geschützten Verhaltensweisen Risiken bergen. Andererseits haben wir kaum je überhaupt keine Handlungsoptionen, sondern besitzen auch im Extremfall immer noch innere Wahlmöglichkeiten, mit denen wir, wenn schon nicht die äußeren Bedingungen, so doch zumindest unser subjektives Erleben entscheidend verändern können. Von Tag zu Tag wird uns klarer, dass das Leben niemals langweilig ist, sondern wir es allenfalls selbst langweilig einrichten. Zugleich bemerken wir, dass wir niemals nur Opfer sind, sondern dass wir die natürliche Fähigkeit besitzen, auf jede Situation unseres Lebens unsere Antwort zu finden, was soviel heißt wie unsere Verantwortung zu übernehmen.
Was wir subjektiv als Risiko empfinden, ist oft nicht mehr und nicht weniger als die Gefahr, etwas zu fühlen, was wir ungern fühlen. Je mehr wir erleben, dass wir auch Gefühle wie Trauer, Angst oder Wut heil durchleben können, desto mehr sind wir bereit, diese Gefühle zu riskieren, indem wir ungewohnte Wege gehen und Neuland entdecken. Jedes Gefühl, das wir wirklich im Herzen annehmen, verbindet uns auf erfüllende Weise tiefer mit dem Leben und uns selbst. Mit der Navigation durch die drei Zonen lernen wir, uns selbst und dem Leben mit all seinen Unwägbarkeiten zu vertrauen. Wir lernen, uns mitten ins spannende, pulsierende Leben hinein zu wagen und es immer tiefer zu genießen.