oder Das Ego im Tantra
Die blumigen Titel unserer und anderer Tantrakurse und ihre Verheißungen sind vielfältig: ein Fest der Sinne; die Wiederentdeckung der Unschuld, die spannende Begegnung der Geschlechter; die Verbindung von Herz und Sex; die Heilung der Mann-Frau Beziehung; Feuer, Herz und Stille; die Befreiung von persönlichen und gesellschaftlichen Zwängen; spirituelle Partnerschaft; das Eintauchen in die absolute Liebe; die Entfaltung des ekstatischen Potentials; das Wunder des Seins; der kosmische Orgasmus... die Liste ist lang und ließe sich noch eine Weile fortführen. Manchen macht diese Zusammenballung von Liebespoesie mißtrauisch, wenn nicht allergisch. Durchaus verständlich, liegt doch unsere Alltagsrealität meistens weit weg von derart Liebesidylle. Dennoch, auch für Außenstehende kein Geheimnis: die Kurse laufen - verglichen mit der sonst oft rückläufigen Zahl von Seminarteilnehmern - eher gut. Das kann wohl nicht nur an den Titeln liegen. "Da muß doch was faul sein". Gerüchte und Verdächtigungen gibt es viele: "die Leute gehen doch nur wegen dem Sex dorthin", "das ist eine verkappte Partnerschaftsbörse", "das hat mit dem traditionellen Tantra gar nichts mehr zu tun" usw. usf. Die spirituell elaborierteste Variante dieser Verdächtigungen ist die Frage, ob oder wie weit Tantra - insbesondere so wie es heute hier im Westen gelehrt und praktiziert wird - überhaupt etwas mit ernsthafter spiritueller Suche zu tun hat oder doch nur der Gratifikation des Ego dient, dem Erzfeind aller spirituellen Entwicklung. Was hat es also auf sich mit dem Ego im Tantra?
Die Gründe, die Frauen und Männer in die Kurse führen, sind vielfältig. Bei näherem Hinsehen bekommen wir allerdings den Eindruck, daß viele Motivationen nicht aus einer spirituellen Suche entspringen, sondern dem Wunsch nach erfüllender Sexualität, nach liebevoller Beziehung, nach einem glücklichen Leben in Lust und Liebe. Kaum eine Tantraschule läßt sich jedoch gerne unterstellen, mit Spiritualität nichts am Hut zu haben, und schon entflammt die Debatte darüber, was denn eigentlich das richtige Tantra sei. Das Schweizer Magazin "Tantra" moniert, daß die klassischen Texte zum Tantra in der hiesigen Szene weitgehend unbekannt seien und empfiehlt Literaturstudium. Die Argumente in dieser Debatte sind manchmal nicht zimperlich, werden allerdings selten offen ausgetragen, sondern finden sich in versteckten Anspielungen oder gären in der Gerüchteküche der "spirituellen Gemeinde".
Erstaunlich und auf den ersten Blick dazu im Widerspuch zu stehen scheint die Tatsache, daß sich die Tantriker in einem Punkt weitgehend einig sind: es geht darum, das Leben nicht zu bewerten, nicht in gut und böse zu unterscheiden, sondern in allen seinen Aspekten zu erleben und anzunehmen und insbesondere uns selbst so sein zu lassen, wie wir sind. Der Weg der tantrischen Transformation braucht keine asketischen Qualen, keinen selbstlosen Dienst an der Gemeinschaft, keinen Kampf gegen den inneren Schweinehund, sondern alles darf so sein, wie es ist; wenn wir darin bewußt bleiben, wird sich uns die göttliche Natur der Existenz offenbaren. Was würde sich als trojanisches Pferd in die Festung der spirituellen Suche besser eignen als diese tantrische Grundhaltung? Haben wir das Pferd erstmal hineingelassen, springen die Krieger des Egos mit ihren selbstsüchtigen Motiven hinaus und treiben ihr zerstörerisches Werk an unserer spirituellen Entwicklung.
Was aussieht wie ein großer und folgenschwerer Irrtum hat im Tantra Methode. Die Debatte über das richtige Tantra, die skeptische Frage, ob das heute populäre Tantra nicht nur eine pseudospirituelle Spielwiese ist, deutet auf die für mich größte Herausforderung auf dem tantrischen Weg hin: der Weg führt mitten hinein in all die "niederen" Gefilde des Ego, das auf die Verbundenheit mit der ganzen Existenz pfeift und einfach nur auf die Sicherung der individuellen Existenz, den persönlichen Vorteil und den eigenen Lustgewinn aus ist. Es ist tatsächlich leicht, sich darin zu vergessen und die spirituelle Sehnsucht (oder ist es eine Sehn-Suche? ) aus den Augen und aus dem Sinn zu verlieren; umso mehr, als das Ego oft in täuschender Verkleidung daher kommt: als selbstloser Helfer (der doch nur den Dank einstreichen möchte), als spiritueller Lehrer (der sich von der ihm zufließenden Aufmerksamkeit und Bewunderung ernährt), als asketischer Mönch (hinter dem sich ein Pefektionist zu verbergen weiß). Wenn wir uns ? wie im Tantra ? mitten ins Leben hineinwagen, und besonders noch in das heikle Feld von Lust und Liebe, dann ist die Gefahr groß, daß das Ego mit uns sein Spiel treibt und uns dabei noch in der großartigen Illusion beläßt, auf einem spirituellen Weg zu sein. Nicht ohne Grund galt Tantra im Buddhismus als der zwar schnellste, aber auch schwierigste Pfad zur Erleuchtung.
Das Straucheln im Gestrüpp der eigenen Motivationen erlebe ich oft auch in unseren Seminaren und Trainings. Auch zu uns kommen Frauen und Männer aus den unterschiedlichsten Gründen, viele davon sicher erstmal mit Hoffnungen wie "freier mit der eigenen Sinnlichkeit und Sexualität umgehen lernen", "das Herz für eine neue Liebesbeziehung öffnen" oder "ein erfüllteres und glücklicheres Leben führen". Wir können und wollen die Motive unserer Teilnehmer weder prüfen noch überhaupt bewerten. Manche kommen mit einem sehr persönlichen ? aus spiritueller Sicht vielleicht ego-istischem ? Motiv, finden, was sie suchen (oder auch nicht), und gehen wieder. Ist das ehrenrührig für mich als Tantralehrer? Wenn ja, so ist das sicher mein Ego, was sich gekränkt fühlt.
Die Schwierigkeit sehe ich auf einer ganze anderen Ebene. Wenn wir fixiert sind auf die Erfüllung unserer individuellen Wünsche, dann kreieren wir uns früher oder später unser eigenes Leiden. Wenn also unsere Wünsche nicht in Erfüllung gehen und wir haben kein spirituelles Verständnis und keine Bereitschaft, den damit verbundenen Gefühlen zu begegnen und daraus zu lernen, dann laufen wir wahrscheinlich davor weg und suchen woanders unser Glück (oder wir resignieren). In diesem Kreislauf sind wir dann gefangen wie ein Hamster im Laufrad, oder in Samsara, wie es die Buddhisten nennen.
Obwohl wir in jeder unserer Gruppen ausdrücklich darauf hinweisen, wie wichtig das Dableiben ist ? vor allem dann, wenn es innerlich schwierig wird ? kommt es doch hin und wieder vor, daß Leute mitten im Prozeß abbrechen. Für mich persönlich ist das immer schmerzhaft, und es kränkt auch meine Allmachtsphantasien und berührt die Kehrseite davon, meine Ohmachtsgefühle. Bei näherem Hinsehen fällt mir dann jedoch auf, daß in den meisten solchen Fällen eine dringende persönliche Hoffnung oder Erwartung nicht erfüllt wurde oder eine Verletzung berührt wurde, die zu fühlen und anzuschauen die Person nicht bereit war. Beides ist im Kern das Gleiche, denn unsere persönlichen Wünsche sind dann so dringend, wenn wir in diesem Bereich verletzt sind. Von außen betrachtet, und zur Rettung meiner Ehre, könnte ich sagen, daß diese Personen von vorneherein keine spirituelle Motivation für Tantra hatten, und deswegen aufgeben, wenn es nicht wunschgemäß läuft. "Sie haben es doch gar nicht besser verdient!!!" Einige Beispiele von "Aussteigern":
* Eine Frau begegnete ihrem Beziehungsmuster: die Männer, die sie will, begehren sie nicht, und die Männer, die sie begehren, die will sie nicht. Sie hatte gehofft, daß es im Tantra anders wäre, aber es war zunächst mal genauso wie in ihrem Leben.
* Ein Mann, der zu Beginn des Tantratrainings sehr aufs Flirten aus war, ließ sich zwischenzeitlich auf eine feste Partnerschaft ein. Fortan konnte er die gesamte restliche Gruppe nur noch so wahrnehmen, als seien alle nur auf Flirts aus und er habe da nichts mehr zu suchen.
* Ein Paar, das enorme Probleme mit Eifersucht hatte, stieg aus einem Training aus in den irrigen Annahme, alle anderen erwarteten von ihnen, daß sie ihre Partnerschaft öffnen und wechselnde sexuelle Kontakte leben.
In diesen Beipielen war das Bedürfnis nach dem Schutz des Egos größer als die Bereitschaft, sich umzudrehen und den eigenen Schatten zu besichtigen. Es wäre zu unbequem oder schmerzhaft gewesen, der Wahrheit ins Auge zu blicken: der gnadenlosen Kritikerin, die Männer in begehrenswerte und abscheuliche Objekte unterteilt, dem Heuchler, der die eigene Flirtsucht selbstgerecht nach außen projiziert, den ängstlichen, die sich in eine Opferrolle hineinmanövrieren, um den eigenen versteckten Wünschen oder Phantasien nicht begegnen zu müssen, die ihre Beziehung womöglich bedrohen würden. Was würde es helfen, diese Ausweichmanöver als Flucht vor dem eigenen Schatten zu brandmarken und eine genuine spirituelle Suche abzusprechen? Meiner Selbstgerechtigkeit viel, den Betreffenden aber wahrscheinlich wenig.
Wenn ich mich selbst ehrlich frage, warum ich zum Tantra gekommen bin, dann fallen mir auch als erstes Motive ein wie Wünsche nach ekstatischer Sexualität, die Sehnsucht nach einer Partnerin, mit der ich Lust und Liebe intensiv teilen kann, die Jagd nach aufregenden Erfahrungen, die mich den manchmal tristen Alltag vergessen lassen: alles Motive, die mehr mit meinem Ego zu tun haben als mit spiritueller Suche. Was ich dann im Tantra erfahren habe war, daß nicht selten Wünsche wie die obigen auf tiefgehende Weise erfüllt wurden, daß aber die Abstürze und Entäuschungen im Kontrast dazu auch immer intensiver wurden. Auch stand ich einige Male kurz davor abzuhauen, in der Hoffnung, dem Schmerz zu entkommen. Einmal habe ich es getan, bin aus einer halboffenen Gruppe davongelaufen, ohne mich zu verabschieden. Schon auf dem Weg zum Bahnhof bemerkte ich unter all der Verzweiflung und dem Schmerz ein trotziges "Das haben sie jetzt davon, daß sie mich so gemein behandelt haben!" und "Das ist ihre gerechte Strafe, daß ich jetzt abhaue!"
Mit etwas Abstand konnte ich wieder sehen, daß einfach meine Erwartungen nicht erfüllt worden waren, und spüren, daß das weh tat. Tantra ist für mich wie ein Reiten auf den Wellen des Ego. Die Wellen (meine Wünsche) wurden immer größer, die Abstürze und der anschließende Schleudergang im Strudel der Brandung immer heftiger. Gleichzeitig - duch das bewußte Dableiben, was auch immer geschieht - wurde eine Ahnung in mir stärker: das Leben besteht nicht nur aus Wellen, sondern der ganze Ozean der Existenz umfaßt und umspült alles Leben. Es kann enorm befreiend und beglückend sein, dem ganzen Getose in mir und um mich herum zuzuschauen und dabei innerlich still zu werden.
tantrische Welle
Tantra spielt mit allen Aspekten der Existenz, so auch mit den Wellen des Ego. Manche spirituelle Lehrer benutzen das Bild von einer Welle, die sich nicht mehr mit dem Ozean verbunden weiß, als Bild für die Verblendung des Ego. Diese Verblendung kreiert Angst, denn spätestens an der Küste droht die Vernichtung. Wenn wir in dieser Vernichtung, dem Zerschellen unserer Wünsche und Erwartungen, innerlich anwesend bleiben, entdecken wir, daß wir früher oder später wieder ins Wasser, in den Ozean zurück fließen, aus dem dann wieder neue Wellen aufsteigen. Warum sollten wir also nicht sexuelles Glück, traumhafte Partnerschaften und sonstige Gratifikationen des Ego im Tantra suchen? Manche Tantralehrer gehen tatsächlich schon längst so weit, die sexuelle Ekstase als magischen Zustand zur Manifestation von allen möglichen materiellen Gütern einzusetzen: Geld im Überfluß, ein Traumhaus auf dem Land, eine hochdotierte Karriere... alles, was das Ego begehrt. "Da haben wirís! Jetzt zeigt das Neo-Tantra sein eigentliches, häßliches Gesicht!" rufen die Vertreter der ernsthaften spirituellen Suche. Woher der Aufregung? Neidisch? Zweifel, ob die spirituellen Früchte des Verzichts nicht doch auch im Garten Eden der Sinnenfreude und des Genusses wachsen? Oder einfach nur die Besorgnis über die verlorenen Schafe auf Gottes großer Weide?
Ich wünsche mir, daß wir Tantriker mit unserer Haltung des Nicht-Wertens, des Annehmens, was ist, auch vor dem Ego nicht halt machen. Das Ego ist nicht Alles, das stimmt. Aber das haben wir doch längst herausgefunden, wenn wir einige Male damit auf die Nase gefallen sind! Oder nicht? Vielleicht auch nicht. Das Ego kann unserem wirklichen Glück und unserer tiefsten Erfüllung ziemlich genau im Wege stehen, auch das ist meine Erfahrung. Das gilt aber nur so lange, bis wir das Ego nicht als unser kleines begrenztes Ich erkannt haben, sondern unseren Mikrokosmos mit dem gesamten All verwechseln. Solange ist es tatsächlich ein Gefängnis. Wenn ich nicht merke, daß das Leben mehr zu bieten hat, als daß ich das bekomme, was ich will; wenn ich nicht merke, daß die tiefsten Glücksmomente dann geschehen, wenn die Zeit stehen bleibt und niemand etwas will: dann befinde ich mich im Hamsterrad, und zwar genau so lange, bis ich es merke. Wenn ich es merke, dann kann ich austeigen - oder weiter Karussel fahren, einfach aus Spaß am Fahren.
Ich glaube, es braucht keine moralische Instanz, die uns das Ego madig macht, schon gar nicht im Tantra: bewußt da bleiben (und das ist etwas anderes als erstarren und aushalten!) reicht aus um zu entdecken, was wir uns mit unserem Ego zuweilen antun, und daß unsere wirkliche Sehnsucht weit darüber hinaus geht. Das Da-Bleiben ist allerdings zentral. Falls wir jedesmal davonlaufen, wenn wir nicht das bekommen, was wir wollen, dann nehmen wir uns selbst die Butter vom Brot. Das ist gelinde gesagt, denn oft genug sind das die schmerzhaftesten Verletzungen, die sich Frauen und Männer im Tantra selbst zufügen: sie brechen das Surfen ab, wenn die Welle sich zu überschlagen droht, verpassen dabei das natürliche Ende eines jeden Wunsches (die Erfüllung oder das Loslassen), und bleiben auf ihren Wünschen sitzen, um beim nächsten Mal mit noch mehr Angst auf das Surfbrett zu steigen. So lernt niemand Wellenreiten. Die Vernichtung der Wünsche in der wilden, schäumendem Brandung und das anschließende Wiedererstehen wie Phoenix aus der Asche ist nicht im entferntesten so gefährlich wie das Abbrechen kurz vor der Stunde der Wahrheit. Es liegt viel Weisheit und Mitgefühl in der Haltung der Tantra-Meisterin Devi (in Daniel Odierís Buch "Tantra") , die nur als Schüler aufnimmt, wer sich von vorneherein verpflichtet, den ganzen Weg zu gehen.
Wenn wir also das Ego im Tantra anerkennen und da sein lassen, gilt das nur für Tantraschüler oder auch für den Tantra-Lehrer, die Lehrerin? Sollten die all die Turbulenzen bereits hinter sich gelassen haben? "Wer würde über Erfolg in Geldangelegenheiten bei einem Kursleiter ein Seminar buchen, der sich noch nicht einmal die Fahrt zum Tagungsort leisten kann?" hörte ich den spirituellen Lehrer Paul Lowe auf einem Vortrag in Freiburg fragen. Wer sollte also ? so seine implizite Aussage ? ein spirituelles Seminar bei jemanden besuchen, der nicht selbst erleuchtet und befreit von allen Egoverhaftungen, ist? Der Markt und die Gerüchteküche um all die Neu-Erleuchteten, Fast-Erleuchteten, Wohl-doch-nicht-Erleuchteten, Nie-und-nimmer-Erleuchteten, Jenseits-von-jedem-Zweifel-Erleuchteten, blüht und brodelt. Das Perfide daran: wer mag sich schon die Blöße geben und einen echten Erleuchteten verkennen? Das würde einen ja nur selbst disqualifizieren. Also muß man sich ganz klar auf eine Seite schlagen: die Erleuchtung zweifelsfrei diagnostizieren ("Wer das nicht mitvollzieht, ist eben noch nicht so weit!") oder sie ohne wenn und aber aberkennen ("Fällst du etwa auf diesen Scharlatan herein? Der hat doch einen riesigen Egotrip laufen!"), oder lieber demütig und bescheiden schweigen. Ich bin manchmal überrascht, wieviel Anklang dieses spirituelle Gesellschaftspiel mitunter findet, aber wer möchte schon einem spirituellen falschen Fuffziger auf den Leim gehen?
In der Tantraszene wird diese Suppe nicht ganz so heiß gekocht wie in der Satsanggemeinde. Tantralehrer haben ja in ihren Seminaren auch noch etwas anderes anzubieten als nur ihre eigene Erleuchtung, aber eine ähnliche Dynamik ist auch manchmal zu beobachten: Wer hat es wirklich drauf? Wer vermittelt echtes, authentisches Tantra? Wer schreibt Tantra drauf, obwohl nur Selbsterfahrung mit Liebe und Sexualität drin ist? Da hat es mich geradezu naiv und doch sehr sympathisch gedünkt, als ich neulich das öffentliche Bekenntnis von einem Tantra-Couple las, daß sich ihre Kurse zum Thema Beziehung erst verkaufen, seit sie sie Tantra nennen.
Viele spirituelle Lehrer und Seminarleiter zeigen sich nicht mit ihren Schwächen und Fehlern, und dazu trägt natürlich die Konkurrenz und die Marktgesetzmäßigkeit im ganzen Psycho- und Esoterikbereich entscheidend bei. Wenn überhaupt, dann sprechen sie von eigenen Egoverstrickungen nur in der Vergangenheitsform, wenn es hoch kommt noch in zwar aktuellen, aber doch verallgemeinernden Statements wie "Jeder lehrt natürlich immer das, was er selbst am meisten zu lernen hat." Für einen Tantralehrer sollten ekstatische Funkenregen vor dem dritten Auge, Ganzkörper-Atemorgasmen und eine erfüllte Partnerschaft doch wohl kein Problem sein... Wenn ein Tantracouple sich trennt, heißt es: "Was, die beiden haben sich getrennt? Ich wußte schon immer, daß da der Wurm drin war!"
Die Frage, ob und wie weit ich mich als Tantralehrer mit meinen Macken so zeigen sollte, wie ich bin, ist allerdings enorm heikel, und läßt sich nicht leicht beantworten:
* wenn ich glaube, meine Fehler und Konflikte nicht zeigen zu dürfen, weil ich dann meinen oder der Teilnehmer/innen Ansprüche nicht genüge, sitze ich in der Falle: ich ermutige alle anderen, sich selbst sein lassen, und lasse mich selbst nicht so sein, wie ich bin.
* wenn ich mich als den großen spirituellen Zampano hinstelle, dann kommen ? zumindest wenn ich es geschickt anstelle ? die Fans gelaufen, aber ich halte sie auch in je größerer Abhängigkeit, je größer ich die Kluft zwischen ihnen und mir gestalte.
* wenn ich alle Unterschiede zwischen mir als Leiter und den Teilnehmern verwische und meine besondere Rolle und die dazugehörige Distanz nicht annehme, nach dem Motto "wir lernen alle", verhindere ich den Prozeß der Idealisierung (und späterer Enttäuschung), der bis zu einem gewissen Grad sehr hilfreich ist, um sich dem wahren Kern zu nähern. Anfangs werden Ideale auf uns als Leiter projiziert, mehr und mehr können sie jedoch als innere Wahrheit in Besitz genommen werden: "Was ich in ihm sehe, ist auch in mir!"
* wenn ich meine inneren Kämpfe und Abstürze zeitweise transparent mache, ohne meine Rolle als Leiter in Frage zu stellen, ermutige ich die Teilnehmer/innen, sich auch selbst ihre Schwierigkeiten anzuschauen und sich damit zu zeigen, ohne zu kollabieren.
* wenn ich die Konsequenzen meiner Rolle, z.B. die Elternprojektionen auf mich und die entsprechende Zuweisung von Macht, ignoriere, und mich auf private Beziehungen mit Teilnehmer/innen einlasse, ist die Gefahr groß, die Beziehung zu mißbrauchen und das Machtgefälle für meine persönlichen Bedürfnisse und zur Kompensation meiner Defizite zu mißbrauchen.
Ich habe ziemlich früh herausgefunden, wie leicht es als Gruppenleiter ist, die Bewunderung und erotische Anziehung von teilnehmenden Frauen zu gewinnen: Ich muß mich hin und wieder verletzlich zeigen, gleichzeitig aber das Heft klar in der Hand behalten. Das trifft genau in das Defizit vieler Frauen, die sich einen Vater gewünscht hätten, der stark und verletzlich, kompetent und erreichbar zugleich ist. Andere Gruppenleiter haben sicher andere Tricks herausgefunden: Psychopathen setzen ihren machtvollen Charme ein, rigide Charakter die Anmut ihrer Kraft, schizoide ihr Eremiten-Image, Masochisten ihre Gemütlichkeit (in der Tantraszene eher selten!). Die Verführung für den Gruppenleiter ist enorm groß, die Attraktivität in der Rolle des Gruppenleiters als persönliches Attribut mißzuverstehen. Der Schritt zum Mißbrauch ist dann nicht mehr weit (und er beginnt nicht erst beim sexuellen Kontakt). Ich wage zu behaupten, daß es dafür viele Beispiele in der Szene gibt.
Umgekehrt mag ich mich jedoch auch nicht an der Hexenjagd der Rechtschaffenen beteiligen, die jeden privaten Kontakt von Leiter(in) und Teilnehmer(in) für eine Todsünde erklären und damit doch nur der eigenen und anderer Heuchelei Vorschub leisten. Mißbrauch hat viele Gesichter.
Auch Tantralehrer und überhaupt spirituelle Lehrer und Gruppenleiter werden zuweilen von egoistischen Motiven getrieben ? ich jedenfalls ganz bestimmt und nicht zu knapp. Manchmal zeige ich mich damit und manchmal nicht, und auch das durchaus nicht immer aus altruistischen Motiven. Manchmal hadere ich damit, manchmal fühle ich mich in Frieden und bin glücklich, so viele Menschen auf dem Weg begleiten zu dürfen und dabei zu lernen, mich selbst zu begleiten und sein zu lassen - und dabei noch Geld zu verdienen. Ist das ein Widerspruch? Vielleicht ja, aber der Widerspruch ist zutiefst tantrisch.
Wir stürzen uns mitten hinein in das Abenteuer des Lebens, der Lust und der Liebe. Wir wollen alles, und zwar jetzt - oder auch später. Wir wollen jedes nur erdenkliche Glück für uns selbst - und fallen dabei kläglich auf die Nase, wenn wir glauben, daß unser Glück von dem Glück der anderen getrennt wäre. Wir fallen auf die Spiegelungen des Egos herein, wie sie uns in den Tantraprospekten blumig und verführerisch schmackhaft gemacht werden, und bleiben da, wenn sich die Illusionen wie Seifenblasen in der Luft auflösen. Dann kann etwas viel Wertvolleres zum Vorschein kommen: unser innerster Kern, das Göttliche in uns, die allumfassende Liebe, reines Bewußtsein, Frieden. Wir lösen uns darin auf, bis irgendeine miese kleine Ratte in uns sich wieder daran macht, diese Erfahrung auszuschlachten: wär doch gelacht, wenn sich diese WAHNSINNSERFAHRUNG nicht in klingende Münze, Bewunderung oder eine erotische Eskapade verwandeln ließe. Ich hasse diese Ratte - und ich liebe sie.