In der Sexualtherapie brachte das letzte Jahrzehnt einen Boom an Fachliteratur über die weibliche Sexualität: empirische Studien, diagnostische Neufassungen sexueller Störungen und interessante therapeutische Perspektiven. Männliche Sexualität: Fehlanzeige. Mit Viagra schien alles gesagt zu sein. Erektion gut – alles gut. So klingt der Subtext der stark urologisch akzentuierten „sexual medicine“, die mit der neu erfundenen Wortmarke „erektile Dysfunktion“ das Feld übernahm und einen beachtlichen Output an Forschungsergebnissen vorwies, und das auf durchaus anspruchsvollem Niveau. Das Flaggschiff „Journal of Sexual Medicine“ hat sich in wenigen Jahren mit einem beachtlichen Impact-Faktor Respekt im medizinischen Establishment verschafft.
Zum psychologischen Verständnis männlicher Sexualität hat dieser Forschungszweig freilich kein bisschen beigetragen. Das ist allerdings nicht den Urologen und anderen körpermedizinischen Disziplinen anzulasten. Die bleiben auf heimischem Feld und sind nützlich in dem, was sie können: messen, diagnostizieren, operieren, Medikamente entwickeln. Den Mangel haben die Sozialwissenschaften, die Psychologie, die Psychotherapie und die Soziologie zu verantworten. Als ob sie vor dem Siegeszug der handlungsorientierten Medizin kapituliert hätten. Und als ob sie dem trostlosen Mythos anhingen, dass männliche Sexualität so simpel sei, dass es sich eh nicht lohne, sich näher damit zu befassen.
Saleem Matthias Riek und Rainer Salm haben deshalb unverstellt freie Bahn. Die nutzen sie, theoretisch wie praktisch. Sie ziehen ihre Linie in einem angenehmen Duktus, der engagiert, aber nicht missionarisch ist. Weg von der versteinerten Männer-sind-einfach-These zu einem subtilen Zugang zu den Verletzlichkeiten, aber ebenso dem Stolz, der Beweglichkeit und dem Mut von Männern, deren Geschichten in differenzierten und einfühlsamen Interviews vorgestellt werden. Von Männern, die unterwegs sind und aus den unterschiedlichen Brüchen ihrer Männlichkeits-Biographien etwas entwickelt haben.
Freilich sind das sehr spezielle Männer. Emotional zugänglich, von Tantra beeinflusst, eher eine Selbstreflexions-Avantgarde. Repräsentativ sind sie sicher nicht, aber das ist weniger entscheidend als dass die Interviews zeigen: Dieses Potenzial hat männliche Sexualität – wenn man nur genauer hinschaut.
Eine Stärke dieses Buches ist die Verbindung von Fallgeschichten und Thesen, die sich plausibel ergänzen. Den Fällen schließen sich die zehn Thesen zur männlichen Sexualität ebenso gut an wie die Fragen zur sexuellen Selbsterforschung. Dabei hat das Ganze eine angenehme Frische und Leichtigkeit, nichts von der melancholischen Betroffenheit mancher Männer-Bücher.
Immer noch gilt unter Sexualtherapeuten das gute, aber mittlerweile in die Jahre gekommene Buch des Kaliforniers Bernie Zilbergeld zur Therapie der männlichen Sexualität als erste Wahl. Seine Konzepte aus den 1970er Jahren könnten eine Nachfolge vertragen. „Lustvoll Mann sein“ ist dafür ein vielversprechender Kandidat. Klug, nachdenklich, klar. Geschrieben mit einem liebevollen Blick auf die Männer, ohne dass ein Hauch von Testosteron fehlt. Ein frisches Buch!