Was ist Tantra ?
Inhaltsübersicht
Tantra – eine Lebens- und Liebesschule
Der Begriff „Tantra“ kommt aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wir „verweben“. Im Verständnis von Tantra ist alles mit allem verbunden und unsere Selbstwahrnehmung als getrennte Individuen nicht die letzte Wahrheit.
Tantra stammt ursprünglich aus Indien und Tibet und ist eine der ältesten spirituellen Traditionen der Welt. Seit einigen Jahrzehnten wird Tantra im westlichen Kulturkreis neu entdeckt und gelehrt.
Tantra ist im Westen durch seine Offenheit gegenüber unserer Erotik und Sexualität bekannt geworden und wird leider oft darauf reduziert. In unserem Verständnis ist Tantra eine grundsätzlich bejahende Haltung dem Leben gegenüber.
Das schließt paradoxerweise auch unsere Grenzen und unsere „Neins“ mit ein, genauso wie unsere Liebesfähigkeit, unsere Sexualität, unsere Bedürfnisse und Visionen und auch unsere Ängste und Hemmungen bis hin zu unserer Spiritualität und unserer Aufgabe im Leben.
Die Schule des Seins ist eine moderne, vom Tantra inspirierte Lebens- und Liebesschule und Heilkunde in einem ganzheitlichen, alle Aspekte unseres Menschseins umfassenden Sinne. Heilung bedeutet für uns ganz zu werden und alle Aspekte unseres Seins in ihrer Existenz anzuerkennen. Darin liegt eine Transformation, die sowohl unseren Alltag, unsere Beziehungen zu uns selbst und zu anderen Menschen umgestalten als auch unser menschliches Bewusstsein erweitern kann.
Es gibt heute viele verschiedene Ansätze, wie Tantra verstanden und gelehrt wird. Bitte schauen Sie sich weiter auf unseren Seiten um, um mehr über unseren Ansatz zu erfahren.

Die Wiederverbindung von Liebe, Sexualität und Bewusstsein im Tantra
Tantra, das Wort mit dem schönem Klang, war bis vor 40 Jahren im Westen weitgehend unbekannt. Heute erfreuen sich Tantraseminare zwar großer Beliebtheit, aber es ranken sich auch viele zweifelhafte Gerüchte darum herum.
Tantra löst Sehnsüchte und zugleich auch Ängste aus, und das hat ein einfachen Grund. Im Unterschied zu den meisten spirituellen Richtungen und Religionen, und auch im Unterschied zu den meisten Formen von Therapie und Selbsterfahrung macht Tantra nicht den obligatorischen Bogen um das Thema Sexualität.
Zwar scheint das Thema Sex heute weitgehend enttabuisiert zu sein, es prangt uns von überall her entgegen, nackte Körper in Illustrierten allerorten, in Talkshows werden die letzten intimen Details des Liebeslebens ans Licht gezerrt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sich nur wenige Menschen in ihrer Sexualität wirklich wohl und frei fühlen.
Mit Schlagzeilen wie „Tantra – Göttliche Ekstase oder Gruppensex?“ stürzen sich die Medien auflagensteigernd auf das Thema und spiegeln dadurch ihre eigene und unser aller tiefe Verletzung als sexuelle Wesen. Unsere Kultur hat nicht nur Sex und Herz voneinander getrennt, sie hat auch Sexualität zum Hindernis für spirituelle oder religiöse Entwicklung erklärt, und die Folgen davon tragen wir in unseren Knochen, in unserem Körper. In Tantragruppen werden diese Themen in einer Offenheit und Direktheit angesprochen und erforscht, die sonst selten zu finden ist. Dabei ist behutsames Vorgehen besonders wichtig, um einen sicheren Rahmen für die Selbserkundung zu schaffen.
Im traditionellen Tantra mussten sich die Adepten in jahrelanger Meditationspraxis üben, bevor sie in sexuelle Praktiken eingeführt wurden. Damit war die Voraussetzung geschaffen, daß es nicht um vordergründiges Ausleben von Sex ging. Jemand, der das dort gesucht hätte, hätte längst vorher aufgegeben. In unserer Zeit und Kultur sind die traditionellen Rituale und Methoden kaum anwendbar. Stattdessen wurde die Essenz von Tantra – nicht zuletzt vom indischen Mystiker Osho inspiriert – in neue Formen gekleidet und wird heute meist in einer Weise gelehrt, die sich oberflächlich kaum von anderen Formen der Selbsterfahrung unterscheidet. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied, der sich manchem sofort, anderen erst bei längerer Erfahrung im Tantra erschließt.
Tantra beinhaltet weit mehr als die Beschäftigung mit Sexualität. Tantra ist auch nicht gleichbedeutend mit Tantramassage, welche es im traditionellen Tantra noch gar nicht gab. Tantra bedeutet in seiner Essenz das Leben in allen seinen Aspekten annehmen zu lernen, bedeutet das Leben zu leben anstatt es zu denken und zu bewerten, bedeutet unsere ganze Palette von Gefühlen zu spüren anstatt sie in gute und schlechte Gefühle zu unterteilen und dann den vermeintlich guten Gefühlen hinterherzurennen. Tantra bedeutet, unsere Fähigkeit zu Präsenz, zum unmittelbaren Gewahrsein, zur Meditation mitten in alle Erfahrungen unseres Lebens hineinzubringen und unsere Erfahrung damit zu verwandeln.
Ein solcher Transformationsprozess ist unserem Kulturkreis eher fremd, sind wir eher darauf gedrillt, daß nur entschlossenes Tun Veränderung bewirkt. Unsere Kultur ist extrem „männlich“ geprägt, in dem Sinne, daß sogenannt „weibliche“ Qualitäten wie Hingabe oder einfach SEIN zu kurz kommen. Tantra beschäftigt sich schon seit tausenden von Jahren mit der archetypischen Polarität von männlich und weiblich und kann einiges zur Heilung der Beziehungen von Männern und Frauen beitragen, aber auch zur Heilung innerer Polaritäten und Widersprüche. Im Tantra können wir entdecken, daß in der Hingabe an das, was ist, eine ganz andere Art von Veränderung geschieht, eine Veränderung, in der wir in einen Einklang mit der Existenz kommen, in der wir das Wunder des Lebens und der Existenz wieder zu seinem Recht kommen lassen.
Dieser Transformationsprozess macht auch vor sinnlicher Erfahrung, vor prickelnder Erotik und lustvoller Sexualität nicht halt. Tantra unterstützt uns dabei, unsere Unschuld als sinnliche und sexuelle Wesen wieder zu entdecken, sie in Besitz zu nehmen und zu feiern. Wer allerdings glaubt, an den eigenen Macken vorbei den Traumpartner zu finden oder ein schnelles sexuelles Abenteuer zu erleben, wird meistens enttäuscht! In diesem Prozess begegnen wir oft alten Wunden und Verletzungen, die wir früher in diesem Bereich erlitten haben. Wessen sexuelles Erwachen wurde in der Pubertät gefeiert oder überhaupt nur liebevoll unterstützt und begleitet? Wer wurde nicht in seiner Würde als sexuellem Wesen mißachtet, durch Ignoranz, durch Vertuschung und Heimlichkeiten oder sogar durch direkten Mißbrauch? Aber anstatt sich diesen Verletzungen zu stellen, um sie zu heilen, greifen viele Menschen lieber nach einer Wunderpille, die Männern ausdauernde Erektionen und neuerdings auch Frauen unzählige Orgasmen verspricht.
Tantra ist keine Wunderpille. Tantra verspricht nicht, daß wir dem Spüren unserer Wunden entkommen. Im Tantra werden paradoxerweise sogar gerade unsere verwundeten Bereiche zum Tor zu Intimität und zu unserer Essenz. In der Bereitschaft, alles zu spüren, die Lust wie den Schmerz, die Wut und Trauer genauso wie die Freude und die sexuellen Empfindungen, verwandelt sich unsere Erfahrung und führt uns in die Unmittelbarkeit des Da-Seins. In dem Dasein-lassen von dem, was ist, öffnet sich unser Herz. Wir können auf einer ganz tiefen Ebene entspannen, wenn wir nicht mehr anders sein müssen, als wir sind. Tantra beginnt mit der Liebe zu uns selbst und führt uns zur Liebe zu unserem Partner und unseren Nächsten und darüber hinaus zur Liebe für alle fühlenden Wesen und zur Liebe für die Existenz. Tantra schafft einen Erlebnisraum, in dem dies nicht nur schöne Worte bleiben, sondern praktisch und konkret werden kann. Dies beinhaltet die Chance, die Erfahrungen soweit zu integrieren, daß sie auch im Alltag ihre Früchte tragen können.
Tantra ist kein leichter Weg. In Indien und Tibet, woher Tantra stammt, galt Tantra als besonders herausfordernder Weg, als eine Wanderung auf des Messers Schneide. Die Methoden haben sich wie gesagt im westlichen Tantra sehr verändert, unseren kulturellen Bedingungen angepasst. Unter dem Label Tantra hat sich auch ein Markt etabliert, mit z.T. sehr unterschiedlicher Ausrichtung. Für manche steht der eigene Heilungsprozess im Vordergrund, für andere das Lieben-Lernen, für dritte das Abenteuer des Lebendig Seins und für manche wird Tantra zu ihrem spirituellem Weg, zur Rückverbindung mit dem Sein. In dem breiten öffentlichen Zugang zum Tantra liegen Chancen wie Gefahren. Einerseits braucht niemand eine jahrelange Expedition in den Himalaya zu unternehmen, um Tantra kennenzulernen, andererseits kann in der nur oberflächlichen Beschäftigung mit Tantra das eigentliche Geschenk übersehen werden, das uns Tantra zu geben hat: uns mit dem Leben in allen seinen Aspekten anzufreunden und darin unsere innere Natur, unser Wesen zu entdecken.

Das Ego im Tantra oder Liebes-Spiele für die Erleuchtung ?
Die blumigen Titel unserer und anderer Tantrakurse und ihre Verheißungen sind vielfältig: ein Fest der Sinne; die Wiederentdeckung der Unschuld, die spannende Begegnung der Geschlechter; die Verbindung von Herz und Sex; die Heilung der Mann-Frau Beziehung; Feuer, Herz und Stille; die Befreiung von persönlichen und gesellschaftlichen Zwängen; spirituelle Partnerschaft; das Eintauchen in die absolute Liebe; die Entfaltung des ekstatischen Potentials; das Wunder des Seins; der kosmische Orgasmus… die Liste ist lang und ließe sich noch eine Weile fortführen. Manchen macht diese Zusammenballung von Liebespoesie mißtrauisch, wenn nicht allergisch. Durchaus verständlich, liegt doch unsere Alltagsrealität meistens weit weg von derart Liebesidylle. Dennoch, auch für Außenstehende kein Geheimnis: die Kurse laufen – verglichen mit der sonst oft rückläufigen Zahl von Seminarteilnehmern – eher gut. Das kann wohl nicht nur an den Titeln liegen. „Da muß doch was faul sein“. Gerüchte und Verdächtigungen gibt es viele: „die Leute gehen doch nur wegen dem Sex dorthin“, „das ist eine verkappte Partnerschaftsbörse“, „das hat mit dem traditionellen Tantra gar nichts mehr zu tun“ usw. usf. Die spirituell elaborierteste Variante dieser Verdächtigungen ist die Frage, ob oder wie weit Tantra – insbesondere so wie es heute hier im Westen gelehrt und praktiziert wird – überhaupt etwas mit ernsthafter spiritueller Suche zu tun hat oder doch nur der Gratifikation des Ego dient, dem Erzfeind aller spirituellen Entwicklung. Was hat es also auf sich mit dem Ego im Tantra?
Die Gründe, die Frauen und Männer in die Kurse führen, sind vielfältig. Bei näherem Hinsehen bekommen wir allerdings den Eindruck, daß viele Motivationen nicht aus einer spirituellen Suche entspringen, sondern dem Wunsch nach erfüllender Sexualität, nach liebevoller Beziehung, nach einem glücklichen Leben in Lust und Liebe. Kaum eine Tantraschule läßt sich jedoch gerne unterstellen, mit Spiritualität nichts am Hut zu haben, und schon entflammt die Debatte darüber, was denn eigentlich das richtige Tantra sei. Das Schweizer Magazin „Tantra“ moniert, daß die klassischen Texte zum Tantra in der hiesigen Szene weitgehend unbekannt seien und empfiehlt Literaturstudium. Die Argumente in dieser Debatte sind manchmal nicht zimperlich, werden allerdings selten offen ausgetragen, sondern finden sich in versteckten Anspielungen oder gären in der Gerüchteküche der „spirituellen Gemeinde“.
Erstaunlich und auf den ersten Blick dazu im Widerspuch zu stehen scheint die Tatsache, daß sich die Tantriker in einem Punkt weitgehend einig sind: es geht darum, das Leben nicht zu bewerten, nicht in gut und böse zu unterscheiden, sondern in allen seinen Aspekten zu erleben und anzunehmen und insbesondere uns selbst so sein zu lassen, wie wir sind. Der Weg der tantrischen Transformation braucht keine asketischen Qualen, keinen selbstlosen Dienst an der Gemeinschaft, keinen Kampf gegen den inneren Schweinehund, sondern alles darf so sein, wie es ist; wenn wir darin bewußt bleiben, wird sich uns die göttliche Natur der Existenz offenbaren. Was würde sich als trojanisches Pferd in die Festung der spirituellen Suche besser eignen als diese tantrische Grundhaltung? Haben wir das Pferd erstmal hineingelassen, springen die Krieger des Egos mit ihren selbstsüchtigen Motiven hinaus und treiben ihr zerstörerisches Werk an unserer spirituellen Entwicklung.
Was aussieht wie ein großer und folgenschwerer Irrtum hat im Tantra Methode. Die Debatte über das richtige Tantra, die skeptische Frage, ob das heute populäre Tantra nicht nur eine pseudospirituelle Spielwiese ist, deutet auf die für mich größte Herausforderung auf dem tantrischen Weg hin: der Weg führt mitten hinein in all die „niederen“ Gefilde des Ego, das auf die Verbundenheit mit der ganzen Existenz pfeift und einfach nur auf die Sicherung der individuellen Existenz, den persönlichen Vorteil und den eigenen Lustgewinn aus ist. Es ist tatsächlich leicht, sich darin zu vergessen und die spirituelle Sehnsucht (oder ist es eine Sehn-Suche? ) aus den Augen und aus dem Sinn zu verlieren; umso mehr, als das Ego oft in täuschender Verkleidung daher kommt: als selbstloser Helfer (der doch nur den Dank einstreichen möchte), als spiritueller Lehrer (der sich von der ihm zufließenden Aufmerksamkeit und Bewunderung ernährt), als asketischer Mönch (hinter dem sich ein Pefektionist zu verbergen weiß). Wenn wir uns ? wie im Tantra ? mitten ins Leben hineinwagen, und besonders noch in das heikle Feld von Lust und Liebe, dann ist die Gefahr groß, daß das Ego mit uns sein Spiel treibt und uns dabei noch in der großartigen Illusion beläßt, auf einem spirituellen Weg zu sein. Nicht ohne Grund galt Tantra im Buddhismus als der zwar schnellste, aber auch schwierigste Pfad zur Erleuchtung.
Das Straucheln im Gestrüpp der eigenen Motivationen erlebe ich oft auch in unseren Seminaren und Trainings. Auch zu uns kommen Frauen und Männer aus den unterschiedlichsten Gründen, viele davon sicher erstmal mit Hoffnungen wie „freier mit der eigenen Sinnlichkeit und Sexualität umgehen lernen“, „das Herz für eine neue Liebesbeziehung öffnen“ oder „ein erfüllteres und glücklicheres Leben führen“. Wir können und wollen die Motive unserer Teilnehmer weder prüfen noch überhaupt bewerten. Manche kommen mit einem sehr persönlichen ? aus spiritueller Sicht vielleicht ego-istischem ? Motiv, finden, was sie suchen (oder auch nicht), und gehen wieder. Ist das ehrenrührig für mich als Tantralehrer? Wenn ja, so ist das sicher mein Ego, was sich gekränkt fühlt.
Die Schwierigkeit sehe ich auf einer ganze anderen Ebene. Wenn wir fixiert sind auf die Erfüllung unserer individuellen Wünsche, dann kreieren wir uns früher oder später unser eigenes Leiden. Wenn also unsere Wünsche nicht in Erfüllung gehen und wir haben kein spirituelles Verständnis und keine Bereitschaft, den damit verbundenen Gefühlen zu begegnen und daraus zu lernen, dann laufen wir wahrscheinlich davor weg und suchen woanders unser Glück (oder wir resignieren). In diesem Kreislauf sind wir dann gefangen wie ein Hamster im Laufrad, oder in Samsara, wie es die Buddhisten nennen.
Obwohl wir in jeder unserer Gruppen ausdrücklich darauf hinweisen, wie wichtig das Dableiben ist ? vor allem dann, wenn es innerlich schwierig wird ? kommt es doch hin und wieder vor, daß Leute mitten im Prozeß abbrechen. Für mich persönlich ist das immer schmerzhaft, und es kränkt auch meine Allmachtsphantasien und berührt die Kehrseite davon, meine Ohmachtsgefühle. Bei näherem Hinsehen fällt mir dann jedoch auf, daß in den meisten solchen Fällen eine dringende persönliche Hoffnung oder Erwartung nicht erfüllt wurde oder eine Verletzung berührt wurde, die zu fühlen und anzuschauen die Person nicht bereit war. Beides ist im Kern das Gleiche, denn unsere persönlichen Wünsche sind dann so dringend, wenn wir in diesem Bereich verletzt sind. Von außen betrachtet, und zur Rettung meiner Ehre, könnte ich sagen, daß diese Personen von vorneherein keine spirituelle Motivation für Tantra hatten, und deswegen aufgeben, wenn es nicht wunschgemäß läuft. „Sie haben es doch gar nicht besser verdient!!!“ Einige Beispiele von „Aussteigern“:
* Eine Frau begegnete ihrem Beziehungsmuster: die Männer, die sie will, begehren sie nicht, und die Männer, die sie begehren, die will sie nicht. Sie hatte gehofft, daß es im Tantra anders wäre, aber es war zunächst mal genauso wie in ihrem Leben.
* Ein Mann, der zu Beginn des Tantratrainings sehr aufs Flirten aus war, ließ sich zwischenzeitlich auf eine feste Partnerschaft ein. Fortan konnte er die gesamte restliche Gruppe nur noch so wahrnehmen, als seien alle nur auf Flirts aus und er habe da nichts mehr zu suchen.
* Ein Paar, das enorme Probleme mit Eifersucht hatte, stieg aus einem Training aus in den irrigen Annahme, alle anderen erwarteten von ihnen, daß sie ihre Partnerschaft öffnen und wechselnde sexuelle Kontakte leben.
In diesen Beipielen war das Bedürfnis nach dem Schutz des Egos größer als die Bereitschaft, sich umzudrehen und den eigenen Schatten zu besichtigen. Es wäre zu unbequem oder schmerzhaft gewesen, der Wahrheit ins Auge zu blicken: der gnadenlosen Kritikerin, die Männer in begehrenswerte und abscheuliche Objekte unterteilt, dem Heuchler, der die eigene Flirtsucht selbstgerecht nach außen projiziert, den ängstlichen, die sich in eine Opferrolle hineinmanövrieren, um den eigenen versteckten Wünschen oder Phantasien nicht begegnen zu müssen, die ihre Beziehung womöglich bedrohen würden.
Was würde es helfen, diese Ausweichmanöver als Flucht vor dem eigenen Schatten zu brandmarken und eine genuine spirituelle Suche abzusprechen? Meiner Selbstgerechtigkeit viel, den Betreffenden aber wahrscheinlich wenig.
Wenn ich mich selbst ehrlich frage, warum ich zum Tantra gekommen bin, dann fallen mir auch als erstes Motive ein wie Wünsche nach ekstatischer Sexualität, die Sehnsucht nach einer Partnerin, mit der ich Lust und Liebe intensiv teilen kann, die Jagd nach aufregenden Erfahrungen, die mich den manchmal tristen Alltag vergessen lassen: alles Motive, die mehr mit meinem Ego zu tun haben als mit spiritueller Suche. Was ich dann im Tantra erfahren habe war, daß nicht selten Wünsche wie die obigen auf tiefgehende Weise erfüllt wurden, daß aber die Abstürze und Entäuschungen im Kontrast dazu auch immer intensiver wurden. Auch stand ich einige Male kurz davor abzuhauen, in der Hoffnung, dem Schmerz zu entkommen. Einmal habe ich es getan, bin aus einer halboffenen Gruppe davongelaufen, ohne mich zu verabschieden. Schon auf dem Weg zum Bahnhof bemerkte ich unter all der Verzweiflung und dem Schmerz ein trotziges „Das haben sie jetzt davon, daß sie mich so gemein behandelt haben!“ und „Das ist ihre gerechte Strafe, daß ich jetzt abhaue!“
Mit etwas Abstand konnte ich wieder sehen, daß einfach meine Erwartungen nicht erfüllt worden waren, und spüren, daß das weh tat. Tantra ist für mich wie ein Reiten auf den Wellen des Ego. Die Wellen (meine Wünsche) wurden immer größer, die Abstürze und der anschließende Schleudergang im Strudel der Brandung immer heftiger. Gleichzeitig – duch das bewußte Dableiben, was auch immer geschieht – wurde eine Ahnung in mir stärker: das Leben besteht nicht nur aus Wellen, sondern der ganze Ozean der Existenz umfaßt und umspült alles Leben. Es kann enorm befreiend und beglückend sein, dem ganzen Getose in mir und um mich herum zuzuschauen und dabei innerlich still zu werden.
tantrische Welle
Tantra spielt mit allen Aspekten der Existenz, so auch mit den Wellen des Ego. Manche spirituelle Lehrer benutzen das Bild von einer Welle, die sich nicht mehr mit dem Ozean verbunden weiß, als Bild für die Verblendung des Ego. Diese Verblendung kreiert Angst, denn spätestens an der Küste droht die Vernichtung. Wenn wir in dieser Vernichtung, dem Zerschellen unserer Wünsche und Erwartungen, innerlich anwesend bleiben, entdecken wir, daß wir früher oder später wieder ins Wasser, in den Ozean zurück fließen, aus dem dann wieder neue Wellen aufsteigen. Warum sollten wir also nicht sexuelles Glück, traumhafte Partnerschaften und sonstige Gratifikationen des Ego im Tantra suchen? Manche Tantralehrer gehen tatsächlich schon längst so weit, die sexuelle Ekstase als magischen Zustand zur Manifestation von allen möglichen materiellen Gütern einzusetzen: Geld im Überfluß, ein Traumhaus auf dem Land, eine hochdotierte Karriere… alles, was das Ego begehrt. „Da haben wirís! Jetzt zeigt das Neo-Tantra sein eigentliches, häßliches Gesicht!“ rufen die Vertreter der ernsthaften spirituellen Suche. Woher der Aufregung? Neidisch? Zweifel, ob die spirituellen Früchte des Verzichts nicht doch auch im Garten Eden der Sinnenfreude und des Genusses wachsen? Oder einfach nur die Besorgnis über die verlorenen Schafe auf Gottes großer Weide?
Ich wünsche mir, daß wir Tantriker mit unserer Haltung des Nicht-Wertens, des Annehmens, was ist, auch vor dem Ego nicht halt machen. Das Ego ist nicht Alles, das stimmt. Aber das haben wir doch längst herausgefunden, wenn wir einige Male damit auf die Nase gefallen sind! Oder nicht? Vielleicht auch nicht. Das Ego kann unserem wirklichen Glück und unserer tiefsten Erfüllung ziemlich genau im Wege stehen, auch das ist meine Erfahrung. Das gilt aber nur so lange, bis wir das Ego nicht als unser kleines begrenztes Ich erkannt haben, sondern unseren Mikrokosmos mit dem gesamten All verwechseln. Solange ist es tatsächlich ein Gefängnis. Wenn ich nicht merke, daß das Leben mehr zu bieten hat, als daß ich das bekomme, was ich will; wenn ich nicht merke, daß die tiefsten Glücksmomente dann geschehen, wenn die Zeit stehen bleibt und niemand etwas will: dann befinde ich mich im Hamsterrad, und zwar genau so lange, bis ich es merke. Wenn ich es merke, dann kann ich austeigen – oder weiter Karussel fahren, einfach aus Spaß am Fahren.
Ich glaube, es braucht keine moralische Instanz, die uns das Ego madig macht, schon gar nicht im Tantra: bewußt da bleiben (und das ist etwas anderes als erstarren und aushalten!) reicht aus um zu entdecken, was wir uns mit unserem Ego zuweilen antun, und daß unsere wirkliche Sehnsucht weit darüber hinaus geht. Das Da-Bleiben ist allerdings zentral. Falls wir jedesmal davonlaufen, wenn wir nicht das bekommen, was wir wollen, dann nehmen wir uns selbst die Butter vom Brot. Das ist gelinde gesagt, denn oft genug sind das die schmerzhaftesten Verletzungen, die sich Frauen und Männer im Tantra selbst zufügen: sie brechen das Surfen ab, wenn die Welle sich zu überschlagen droht, verpassen dabei das natürliche Ende eines jeden Wunsches (die Erfüllung oder das Loslassen), und bleiben auf ihren Wünschen sitzen, um beim nächsten Mal mit noch mehr Angst auf das Surfbrett zu steigen. So lernt niemand Wellenreiten. Die Vernichtung der Wünsche in der wilden, schäumendem Brandung und das anschließende Wiedererstehen wie Phoenix aus der Asche ist nicht im entferntesten so gefährlich wie das Abbrechen kurz vor der Stunde der Wahrheit. Es liegt viel Weisheit und Mitgefühl in der Haltung der Tantra-Meisterin Devi (in Daniel Odierís Buch „Tantra“) , die nur als Schüler aufnimmt, wer sich von vorneherein verpflichtet, den ganzen Weg zu gehen.
Wenn wir also das Ego im Tantra anerkennen und da sein lassen, gilt das nur für Tantraschüler oder auch für den Tantra-Lehrer, die Lehrerin? Sollten die all die Turbulenzen bereits hinter sich gelassen haben? „Wer würde über Erfolg in Geldangelegenheiten bei einem Kursleiter ein Seminar buchen, der sich noch nicht einmal die Fahrt zum Tagungsort leisten kann?“ hörte ich den spirituellen Lehrer Paul Lowe auf einem Vortrag in Freiburg fragen. Wer sollte also ? so seine implizite Aussage ? ein spirituelles Seminar bei jemanden besuchen, der nicht selbst erleuchtet und befreit von allen Egoverhaftungen, ist? Der Markt und die Gerüchteküche um all die Neu-Erleuchteten, Fast-Erleuchteten, Wohl-doch-nicht-Erleuchteten, Nie-und-nimmer-Erleuchteten, Jenseits-von-jedem-Zweifel-Erleuchteten, blüht und brodelt. Das Perfide daran: wer mag sich schon die Blöße geben und einen echten Erleuchteten verkennen? Das würde einen ja nur selbst disqualifizieren. Also muß man sich ganz klar auf eine Seite schlagen: die Erleuchtung zweifelsfrei diagnostizieren („Wer das nicht mitvollzieht, ist eben noch nicht so weit!“) oder sie ohne wenn und aber aberkennen („Fällst du etwa auf diesen Scharlatan herein? Der hat doch einen riesigen Egotrip laufen!“), oder lieber demütig und bescheiden schweigen. Ich bin manchmal überrascht, wieviel Anklang dieses spirituelle Gesellschaftspiel mitunter findet, aber wer möchte schon einem spirituellen falschen Fuffziger auf den Leim gehen?
In der Tantraszene wird diese Suppe nicht ganz so heiß gekocht wie in der Satsanggemeinde. Tantralehrer haben ja in ihren Seminaren auch noch etwas anderes anzubieten als nur ihre eigene Erleuchtung, aber eine ähnliche Dynamik ist auch manchmal zu beobachten: Wer hat es wirklich drauf? Wer vermittelt echtes, authentisches Tantra? Wer schreibt Tantra drauf, obwohl nur Selbsterfahrung mit Liebe und Sexualität drin ist? Da hat es mich geradezu naiv und doch sehr sympathisch gedünkt, als ich neulich das öffentliche Bekenntnis von einem Tantra-Couple las, daß sich ihre Kurse zum Thema Beziehung erst verkaufen, seit sie sie Tantra nennen.
Viele spirituelle Lehrer und Seminarleiter zeigen sich nicht mit ihren Schwächen und Fehlern, und dazu trägt natürlich die Konkurrenz und die Marktgesetzmäßigkeit im ganzen Psycho- und Esoterikbereich entscheidend bei. Wenn überhaupt, dann sprechen sie von eigenen Egoverstrickungen nur in der Vergangenheitsform, wenn es hoch kommt noch in zwar aktuellen, aber doch verallgemeinernden Statements wie „Jeder lehrt natürlich immer das, was er selbst am meisten zu lernen hat.“ Für einen Tantralehrer sollten ekstatische Funkenregen vor dem dritten Auge, Ganzkörper-Atemorgasmen und eine erfüllte Partnerschaft doch wohl kein Problem sein… Wenn ein Tantracouple sich trennt, heißt es: „Was, die beiden haben sich getrennt? Ich wußte schon immer, daß da der Wurm drin war!“
Die Frage, ob und wie weit ich mich als Tantralehrer mit meinen Macken so zeigen sollte, wie ich bin, ist allerdings enorm heikel, und läßt sich nicht leicht beantworten:
* wenn ich glaube, meine Fehler und Konflikte nicht zeigen zu dürfen, weil ich dann meinen oder der Teilnehmer/innen Ansprüche nicht genüge, sitze ich in der Falle: ich ermutige alle anderen, sich selbst sein lassen, und lasse mich selbst nicht so sein, wie ich bin.
* wenn ich mich als den großen spirituellen Zampano hinstelle, dann kommen ? zumindest wenn ich es geschickt anstelle ? die Fans gelaufen, aber ich halte sie auch in je größerer Abhängigkeit, je größer ich die Kluft zwischen ihnen und mir gestalte.
* wenn ich alle Unterschiede zwischen mir als Leiter und den Teilnehmern verwische und meine besondere Rolle und die dazugehörige Distanz nicht annehme, nach dem Motto „wir lernen alle“, verhindere ich den Prozeß der Idealisierung (und späterer Enttäuschung), der bis zu einem gewissen Grad sehr hilfreich ist, um sich dem wahren Kern zu nähern. Anfangs werden Ideale auf uns als Leiter projiziert, mehr und mehr können sie jedoch als innere Wahrheit in Besitz genommen werden: „Was ich in ihm sehe, ist auch in mir!“
* wenn ich meine inneren Kämpfe und Abstürze zeitweise transparent mache, ohne meine Rolle als Leiter in Frage zu stellen, ermutige ich die Teilnehmer/innen, sich auch selbst ihre Schwierigkeiten anzuschauen und sich damit zu zeigen, ohne zu kollabieren.
* wenn ich die Konsequenzen meiner Rolle, z.B. die Elternprojektionen auf mich und die entsprechende Zuweisung von Macht, ignoriere, und mich auf private Beziehungen mit Teilnehmer/innen einlasse, ist die Gefahr groß, die Beziehung zu mißbrauchen und das Machtgefälle für meine persönlichen Bedürfnisse und zur Kompensation meiner Defizite zu mißbrauchen.
Ich habe ziemlich früh herausgefunden, wie leicht es als Gruppenleiter ist, die Bewunderung und erotische Anziehung von teilnehmenden Frauen zu gewinnen: Ich muß mich hin und wieder verletzlich zeigen, gleichzeitig aber das Heft klar in der Hand behalten. Das trifft genau in das Defizit vieler Frauen, die sich einen Vater gewünscht hätten, der stark und verletzlich, kompetent und erreichbar zugleich ist. Andere Gruppenleiter haben sicher andere Tricks herausgefunden: Psychopathen setzen ihren machtvollen Charme ein, rigide Charakter die Anmut ihrer Kraft, schizoide ihr Eremiten-Image, Masochisten ihre Gemütlichkeit (in der Tantraszene eher selten!). Die Verführung für den Gruppenleiter ist enorm groß, die Attraktivität in der Rolle des Gruppenleiters als persönliches Attribut mißzuverstehen. Der Schritt zum Mißbrauch ist dann nicht mehr weit (und er beginnt nicht erst beim sexuellen Kontakt). Ich wage zu behaupten, daß es dafür viele Beispiele in der Szene gibt.
Umgekehrt mag ich mich jedoch auch nicht an der Hexenjagd der Rechtschaffenen beteiligen, die jeden privaten Kontakt von Leiter(in) und Teilnehmer(in) für eine Todsünde erklären und damit doch nur der eigenen und anderer Heuchelei Vorschub leisten. Mißbrauch hat viele Gesichter.
Auch Tantralehrer und überhaupt spirituelle Lehrer und Gruppenleiter werden zuweilen von egoistischen Motiven getrieben ? ich jedenfalls ganz bestimmt und nicht zu knapp. Manchmal zeige ich mich damit und manchmal nicht, und auch das durchaus nicht immer aus altruistischen Motiven. Manchmal hadere ich damit, manchmal fühle ich mich in Frieden und bin glücklich, so viele Menschen auf dem Weg begleiten zu dürfen und dabei zu lernen, mich selbst zu begleiten und sein zu lassen – und dabei noch Geld zu verdienen. Ist das ein Widerspruch? Vielleicht ja, aber der Widerspruch ist zutiefst tantrisch.
Wir stürzen uns mitten hinein in das Abenteuer des Lebens, der Lust und der Liebe. Wir wollen alles, und zwar jetzt – oder auch später. Wir wollen jedes nur erdenkliche Glück für uns selbst – und fallen dabei kläglich auf die Nase, wenn wir glauben, daß unser Glück von dem Glück der anderen getrennt wäre. Wir fallen auf die Spiegelungen des Egos herein, wie sie uns in den Tantraprospekten blumig und verführerisch schmackhaft gemacht werden, und bleiben da, wenn sich die Illusionen wie Seifenblasen in der Luft auflösen. Dann kann etwas viel Wertvolleres zum Vorschein kommen: unser innerster Kern, das Göttliche in uns, die allumfassende Liebe, reines Bewußtsein, Frieden. Wir lösen uns darin auf, bis irgendeine miese kleine Ratte in uns sich wieder daran macht, diese Erfahrung auszuschlachten: wär doch gelacht, wenn sich diese WAHNSINNSERFAHRUNG nicht in klingende Münze, Bewunderung oder eine erotische Eskapade verwandeln ließe. Ich hasse diese Ratte – und ich liebe sie.

Das innere Kind im Tantra
Das innere Kind im Tantra und der Zauber des Nicht-Wissens
Tantra ist etwas für Erwachsene, nichts für Kinder, vielleicht gerade noch etwas für Teenager. Im Tantra steht die innere Hochzeit von Mann und Frau, die Verbindung von Sex, Herz und Bewußtsein im Vordergrund, beides nicht gerade kindliche Themen. Darf unser inneres Kind dabei sein?
Wie erwachsen muß man oder frau für Tantra sein? Wenn Interessierte uns anrufen und fragen, was denn in den Gruppen so geschieht, werden uns alle möglichen Fagen gestellt: Wie alt sind die Teilnehmer? Muß man sich ausziehen? Wie läuft so ein Workshoptag ab? Brauche ich Vorerfahrungen? Kann ich auch ohne Partner kommen? Aber die Frage „wie erwachsen muß ich für Tantra sein?“ habe ich noch nie gehört. Und trotzdem scheint mir, daß in all den Fragen diese Frage mitschwingt. Oder genauer gesagt: ist mein inneres Kind im Tantra sicher und gut aufgehoben? Oder muß ich so tun, als sei ich erwachsen?
Erwachsen sein ist in unserer Kultur eine ernste Angelegenheit. Mit der Schulzeit begann der Ernst des Lebens“ und spätestens mit der Pubertät war die Zeit ziellosen Spielens vorbei. Wessen sexuelles Erwachen wurde in der Pubertät gefeiert? Wer konnte mit all den Möglichkeiten, die die körperlichen und hormonellen Veränderungen der Pubertät mit sich brachten, frei experimentieren und spielen? Wer Schauspielertalent genug hatte tat so, als wüßte er oder sie bereits alles (zumindest was auch in der „Bravo“ stand…). Wer bei den pubertären Angebereien nicht mithalten konnte machte erneut Bekanntschaft mit dem „Ernst des Lebens“ – in diesem Fall des Liebeslebens. Für mich persönlich war diese Zeit rabenschwarz, ich fühlte mich völlig überfordert und zog mich für Jahre in eine Bücherwelt zurück. Mädchen und Jungen, die die Möglichkeit hatten, ihre Sinnlichkeit und Erotik liebevoll zu erkunden, können sich glücklich schätzen. Für die meisten von uns ist diese Zeit nicht ohne tiefe Wunden aus Schuld- und Schamgefühlen, aus Mißbrauch und Einsamkeit vorüber gegangen. Wer konnte sich damals offen und ehrlich einem anderen Menschen oder gar den eigenen Eltern mit den Sorgen und Nöten anvertrauen?
Die Heilung unserer sexuellen Wunden, das Annehmen und feiern unserer Erotik ist eines der Themen im Tantra. Bevor wir sexuelle Energie für unser spirituelles Erwachen nutzen können, bevor sexuelle Vereinigung zur Meditation werden kann, bevor wir uns ekstatischen Zuständen überlassen können, brauchen unsere Verletzungen liebevolle Aufmerksamkeit. Denn solange nicht gefühlter und unverarbeiteter Schmerz in unseren Körpern lagert und die Energie absorbiert, kommen wir nicht weit. Wir müssen uns früher oder später diesem Schmerz erneut stellen, wenn wir ihn heilen wollen.
Der Heilungsprozess ist allerdings oft lebenslang, und wer möchte schon solange warten, bis wir auch die Freuden tantrischer Begegnung erforschen können? Unser Erleben läuft immer auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig, und wenn wir mit jemandem im Bett sind, sind dort meistens eine ganze Ansammlung von Personen mitbeteiligt: unser bewußtes Ich, unser verletztes Kind, unsere strafende Mutter, unser verspieltes Kind, unser drohender Vater, unsere versorgende Mutter, unser innerer Teenager…, und vielleicht auch schon unser innerer Tantriker. Alle diese Aspekte sind mit im Bett, ob wir wollen oder nicht. Wir können höchstens verschiedene innere Stimmen, wie sie z.B. im „Voice-Dialogue“ genannt werden, aus unserem bewußten Erleben verbannen, um den Preis reduzierter Lebendigkeit und Ganzheit.
Wie erwachsen müssen wir für Sex sein? Wenn wir das innere Kind aus unserer Sexualität ausschließen, dann wird unsere Sexualität genauso wie die Politik, die Wirtschaft, die Kultur: in der Substanz grau, übertüncht durch grellfarbige Propaganda. Dürfen wir mit Sex spielen? Dürfen wir im Sex ÔNicht wissenÕ? Dürfen wir unsere körperlichen Lüste neu erforschen? Dürfen wir unserem Partner Fragen stellen wie beim „Doktor-Spielen“? Oder müssen wir weiter so tun, als wüßten wir schon alles: Vorspiel, Hauptspiel, Höhepunkt, Nachspiel. Ende.
Im Tantra gibt es so vieles neu zu entdecken, nicht zuletzt auch in unserer Erotik und Sexualität. Es gibt Zustände von Lust , Liebe und Ekstase, von denen die meisten Menschen nicht einmal zu träumen wagen. Der Weg dahin ist jedoch nicht einfach, er führt durch die Heilung unserer Wunden und durch die Achterbahn aller unserer Gefühle. Es ist ein Weg des Lernens. Umso schöner wäre es, wenn diesmal mit dem Beginn des tantrischen Lernens der Ernst des Lebens aufhören würde. Tantra wäre eine Schule, in der es o.k. ist, Fehler zu machen. Eine Schule, in der authentische Erfahrung wichtiger ist als totes Wissen. Eine Schule, in der es nicht darum geht, besser oder der Beste zu sein, sondern Du selbst. Eine Schule, in der es möglich ist, Lieben zu lernen. Eine solche Schule achtet und respektiert das innere Kind, den Aspekt in uns, in dem wir noch all die Erfahrungen und Potentiale unserer Kindheit in uns tragen.
Wenn ich die Sorgen von Männern oder Frauen, die uns anrufen und die sich für Tantra interessieren, aber gleichzeitig noch Ängste haben, auf einen Nenner bringen sollte, dann wäre der: darf ich in Tantrakursen sein wer und wie ich bin oder wird von mir etwas Bestimmtes erwartet? Ich höre in dieser Frage das innere Kind, das eine Kindheit lang mit Erwartungen bombardiert wurde, wie es sein soll und was es zu tun hat. Aus dieser Erfahrung heraus fällt es den meisten Menschen schwer, es sich auch nur vorzustellen, daß es einen Raum geben könnte, in dem Du ermutigt wirst, nicht mehr und nicht weniger als Du selbst zu sein. Einen Raum, in dem Du nichts tun mußt, fast alles tun darfst (außer bestimmter Regeln zum eigenen Schutz und zum Schutz der anderen), und in dem Du eingeladen wirst zu fühlen, was Du fühlst. Einen Raum , in dem das innere Kind sicher ist.
Für die Sicherheit des inneren Kindes ist es zentral, daß Grenzen respektiert werden. Grenzen sind organisch und dynamisch, sie verändern sich ständig, genau wie unsere Gefühle. Grenzen sind etwas anderes als unsere angelernten Blockaden oder statischen, verinnerlichten Verbote. Für fast alle Frauen und für sehr viele Männer ist das Nicht-Respektieren der eigenen Grenzen eine der größten Wunden und Hemmnisse für Intimität. Wenn ich meinem Partner nicht jederzeit „Stop“ sagen kann, wie kann ich mich dann öffnen und „Ja“ sagen?
In unseren Gruppen gibt es in jeder Situation, in jeder Übung und in jeder Struktur einen sicheren Platz, der es möglich macht, Grenzen jederzeit zu respektieren und Stop oder Nein zu sagen. Ich höre immer wieder von Tantrakursen, in denen nicht so viel oder gar kein Wert auf den Respekt für Grenzen gelegt wird. Dort heißt es dann “ kümmer Dich darum in einer Therapie“ oder „das sind nur Deine Egoverhaftungen, laß die einfach los“. Jedes „Puschen“ über die Grenzen hinweg bringt vielleicht manchmal vordergründig Erfolge, neue Erfahrungen und ein kurzfristiges Gefühl von Freiheit. Es verschreckt aber erneut das innere Kind, und tiefe Entspannung rückt noch weiter in die Ferne. Darüber hinaus kommen sehr viele Menschen mit sexuellen Mißbrauchserfahrungen zum Tantra, oft zunächst gar nicht bewußt. Wenn Grenzen dann erneut nicht respektiert werden, wiederholt sich oft nur die alte Mißbrauchssituation.
Gerade weil wir mit „erwachsenen“ Themen arbeiten, mit dem Dialog zwischen Mann und Frau, mit Erotik und Sexualität, mit Liebe und Meditation, ist es umso wichtiger, das innere Kind bewußt dabei zu haben. Es kann sein, daß es in einer lust- und liebevollen Situation anfängt zu schreien und zu weinen, und niemand weiß in diesem Moment warum. Reagieren wir dann wie unsere Eltern mit „Hör sofort damit auf, Du störst“ oder „Ist ja schon gut“ oder „Du brauchst nicht zu weinen, es gibt gar keinen Grund“ ? Oder können wir uns erlauben, das Erleben unseres inneren Kindes in unsere erwachsenen Begegnungen zu integrieren?
Wenn wir das innere Kind ausschließen, weil wir z.B. zielstrebig auf bestimmte ekstastische Zustände hinarbeiten wollen, weil wir Angst haben, was unser Partner davon hält oder weil es in der Meditation unsere Stille stört, dann ist es ja nicht aus der Welt. Es geht in der Untergrund. Dort wird es im schlimmsten Fall verkümmern, im besseren Fall wird es von dort aus unsere erwachsene Welt sabotieren und uns darauf aufmerksam machen, daß wir etwas sehr wertvolles aus unserer Erfahrung ausschließen. Es wird möglicherweise in den unpassendstens Momenten das Steuer übernehmen und uns eine Menge *rger einbringen. Es kann Beziehungen zerstören und psychosomatische Symptome herbeizaubern. Es kann besonders gut unsere Sexualität stören. Das innere Kind kann wirklich biestig werden, wenn wir ihm nicht zuhören. Genauso wie reale Kinder.
Ich selbst brauche auch immer wieder den Ärger, den mein inneres Kind mir macht, um aufzuwachen. Inzwischen begreife ich allerdings oft schneller, was es mir sagen will, wenn mein Hals anfängt zu schmerzen oder wenn ein Beziehungsstreit droht zu eskalieren. Wenn ich mit meinem inneren Kind nicht in Kontakt bin, kann ich tantrische Rituale komplett vergessen. Es verpaßt mir dermassene Unlustgefühle, die solange anhalten, bis ich hinhöre.
Wenn ich mich umschaue und mir die allgegenwärtigen Beziehungskonflikte und -desaster anschaue dann bekomme ich den Eindruck, als wenn in allen diesen Konflikten niemals zwei Erwachsene miteinander streiten. Es sind oft zwei etwa dreijährige innere Kids, die am Steuer sitzen und das Geschehen bestimmen. Das können sie nur solange tun, weil die streitenden Erwachsenen gar nicht merken, was in ihnen gerade ihr Verhalten bestimmt und kontrolliert. Auf diese Weise kann das innere Kind geradezu diktatorisch werden. Der Ausweg liegt nicht darin, das innere Kind zu verbannen, er liegt auch nicht darin, das innere Kind am Steuer des eigenen Verhaltens zu belassen. Er liegt darin, das Kind behutsam auf den Beifahrersitz zu setzen, das Steuer wieder selbst in die Hand zu nehmen und dann dem inneren Kind zuzuhören. Dann hört es meistens erstaunlich schnell auf, uns zu sabotieren oder zu tyrannisieren.
Aber es gibt nicht nur diese negative Motivation, das innere Kind in unser Erleben zu integrieren. Viel größer sind die Geschenke des inneren Kindes. Wer freut sich am meisten über einen wundervoll geschmückten Raum für ein tantrisches Ritual, mit Kerzen, schönen Düften, Federn, Glocken, Zimbeln und schönen Tüchern. Für das innere Kind ist das wie Weihnachten. Mit dem Ambiente ist es natürlich nicht getan, daß sich unser inneres Kind wohl fühlt. Es ist die Wiederverzauberung unserer Welt, die vor allem das magische Kind aufblühen läßt, und mit ihm unsere Intuition und unsere spirituelle Verbundenheit mit der Existenz. Es ist die Ziellosigkeit und das neugierige Erforschen erotischer Energie, die das spielerische Kind wach werden läßt und mit ihm eine Unermeßlichkeit an Kreativität, an Leichtigkeit und an müheloser Lernbereitschaft. Es ist der Raum des „Nicht-Wissens“, der das spontane innere Kind ermutigt, einfach zu sein, ohne sich anpassen zu müssen, und mit ihm geschehen oft Durchbrüche in eine andere Dimension, in die Dimension von Sein jenseits aller Solltest, Müßtest, Dürfest. In diesem Seinszuständen können wir erfahren, daß Lust und Liebe unsere Natur sind und daß Lust und Liebe immer schon da sind, wenn wir aufhören, sie zu verhindern. Das innere Kind kann uns dorthin führen. Tantra kann uns dorthin führen. Wenn das innere Kind im Tantra dabei sein darf, da führt ja kaum noch ein Weg vorbei an der Liebe, an dem Geschenk unserer Existenz.